Ein guter Baum

Kennen Sie das Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“
von Paul Gerhardt? Dort heißt es in Strophe 14:

Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich dir werd ein guter Baum
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.

Du und ich, sagt das Lied, wir sind keineswegs die Krone der Schöpfung, nicht meilenweit erhoben über alle Mitgeschöpfe und abgekoppelt von der Evolution! Nicht wie manche Christen es sehen: als stünde der Mensch haushoch über der Schöpfung – mit allen verheerenden Sonderrechten, die er sich auf dieser Grundlage zubilligt. Hier ein Gegenbild, das uns ganz tief in der Schöpfung beheimatet – statt sie zur Disposition zu stellen.

Paul Gerhardt bittet um Gottes Geist, damit eine Metamorphose möglich wird – die zum Baum. Er meint ein gelingendes Menschenleben, das dem Vorbild des Baumes folgt. Er sucht den Ort der Geborgenheit nicht über der Welt der Geschöpfe, sondern tiefer in ihrem Grund.

Landpfarrer Gerhardt wird 1653 mit Sicherheit keinen Parkbaum zum Angucken im Sinn gehabt haben, sondern einen Fruchtbaum, der reiche Ernte bringt. In einem Zeitalter, als noch keine Bananendampfer um den Erdball schipperten, waren die Obstbäume für das Wohlergehen unserer Vorfahren eine ziemlich ernsthafte Angelegenheit.

Umso mehr gefällt es mir, wie er in den letzten Zeilen die Sorge um das alltägliche Wohlergehen fallen lässt. Eine schöne Blume in Gottes Garten zu sein, das reicht ihm. Das macht Sinn genug. Und hilft ganz nebenbei den Bienen und Hummeln, die Pfarrer Gerhardt offenbar deutlich besser verstanden hat als unsere industrialisierte Landwirtschaft samt EU-Administration.

Harald Rohr