Gedanken zum Tag des Baumes

Für mich war Holzsammeln nach dem Krieg eine selbstverständliche Kinderpflicht. Wir heizten und kochten mit Holz, beides. Heute ist der Energieträger Holz etwas für innovationslustige Ökos – bei steigenden Kosten, weil immer mehr Gleichgesinnte auf dieselbe Idee kommen.

Aber wer kann die Mütter zählen, die sich im Süden der Welt tagaus, tagein verzweifelt fragen, woher das Holz für den Lehmherd kommen soll. Sie können nicht auf Öl, Kohle, Gas ausweichen, von öffentlichen Stromnetzen ganz zu schweigen. Alles unbezahlbar und unerreichbar. Holz muss über immer weitere Strecken herbeigeschafft oder immer teurer bezahlt werden. Bei Brennholz ist es wie beim Wasser: je ärmer du bist, um so erbarmungsloser sind die Preise für deinen Grundbedarf.

Holzsparende Herdkonstruktionen und Solarkocher sind deshalb eine Errungenschaft, die die Hilfswerke gern präsentieren. Aber beides erreicht nur verschwindend kleine Zielgruppen.

Darum ist die kommerzielle Brennholzproduktion mit schnell wachsenden Monokulturen, z.B. Eukalyptus eine der großen Geschäftsideen unserer Tage. Kaufen werden nicht die Ärmsten, sondern die, die ein paar mehr Rupees oder Pesos in der Tasche haben. Über den ökologischen Frevel der Feuerholzplantagen, denen der Primärwald weichen muss, wäre noch zu reden.

Die Köchin am Lehmherd verbraucht das Holz in ihrer Reichweite, zusammen mit ihren Nachbarinnen – kaum merklich, nach und nach, über Jahrzehnte. Sie weiß, was sie tut, aber sie muss es tun. Ihre Welt hat nichts zu tun mit jenen Projektabteilungen der Konzerne, die sofort mit gigantischem Kahlschlag einsteigen. Für die Afrikanerin ist ein einziger fehlender Euro ein Riesenproblem, aber diese Planer fangen bei einer Million überhaupt erst an, nachzudenken.

Da wäre auch die globale Fleischindustrie. Die möchte die Nachfrage der Steak-Restaurants und Würstchenbuden bedienen, von Hamburg bis Shanghai. Dazu kommen Millionen Mikrowellennutzer. Die ziehen sich nach Feierabend gern noch einen tierischen Snack rein, von New York bis München. Wer all diese Marktchancen abgreifen will, kommt an den Restposten von Urwald einfach nicht vorbei. Wo sonst soll man die Mengen Soja erzeugen, ohne die die Fresswelle nicht läuft?

Kaum ein Bürger wird behaupten können, dieser Zusammenhang sei ihm neu: Die gigantischen Waldvernichtungsprojekte unserer Lebenszeit haben definitiv mit unseren Konsumansprüchen zu tun.

Aber am Amazonas werden nicht einfach Bäume umgehauen, die man eben mal nachpflanzen könnte. Ungeheuer vielfältige Waldlebensgemeinschaften verschwinden für immer, bevor wir sie kennengelernt und verstanden haben. Unsere paar mitteleuropäischen Laubbaumtypen sind nichts gegen die Artenfülle auf einem einzigen Quadratkilometer Primärwald, der letzte Woche irgendwo flachgelegt worden ist, im Kongo, auf Borneo oder am Orinoco. Kahlschlag, hier für Soja, dort für Palmöl oder für sonstwas, das sich an der Börse auszahlen soll.

Der einzelne Baum vor unserer Haustür, der willkürlich fallen soll, ist unser Engagement wert. Aber ich darf nicht vergessen, dass Baumschutzarbeit vor der eigenen Haustür übertönt wird von dem Höllenlärm der industriellen Waldvernichtung, die unsere parasitäre Lebensart noch um kurze Zeit verlängert.

Die Mythologie kennt manchen Baum, dessen Früchte mehr bieten als Kalorien und Vitamine. Die Börse hat heute ihre spezielle Liste der Goldenen Bäume. Der Kaffeebaum ist seit Generationen top. Mit den Kakaobäumen, den Teesträuchern, den Orangenbäumen haben die Kaffeebäume gemein, dass sie uns Baumfreunde an den sozialen Aspekt erinnern, der uns auch nicht gleichgültig sein sollte:

Die Arbeiter auf den Plantagen oder die kleinen Kaffeebauern haben einen fairen Lohn verdient. Und die Kinder in der Nachbarschaft brasilianischer Orangenplantagen und westafrikanischer Kakaokulturen gehören in die Schule, statt ausbeuterische Kinderarbeit zu verrichten.

Der goldene Skandalbaum der Gegenwart schlechthin ist die Ölpalme. Überall im Tropengürtel, mit Schwerpunkt Indonesien, fallen Restwälder dem Milliardengeschäft zum Opfer, legal genehmigt oder auch nicht. Und immer sind wir mit von der Partie, ob als Autofahrer mit dem EU-Spritmix oder beim Kauf ungezählter Produkten aus dem Supermarkt. Ich hege den Verdacht, dass unsereiner gar nicht so viele Bäume vor der eigenen Haustür retten kann, wie er als Verbraucher auf Sumatra abzuholzen hilft.

Bäume, die reich machen, sind mir in unserer Landgemeinde noch nicht aufgefallen. Vielleicht, weil in der Börde die Zuckerrübe die höchste Schatten spendende Pflanze ist. Gewinn versprechende Baumprojekte hat hier eher die Obrigkeit voran getrieben. Preußische Beamte hatten königliche Order, landesweit das Futter für die Seidenraupenzucht sicherzustellen. Darauf gehen die zahlreichen Kulturen von Maulbeerbäumen zurück.

Und die staatliche Planungskommission der DDR war gehalten, die Randbepflanzung der Landstraßen mit Obstbäumen zu fördern; naheliegend in einer Volkswirtschaft, die kaum Devisen für Apfelsinen und Bananen auf den Tisch legen konnte. Auch die stattlichen Hybridpappeln an vielen Wegesrändern legen Zeugnis von sozialistischem Planungswillen ab. Sie sollten beim Rohstoff Holz einen besseren Ertrag liefern als die angestammte Schwarzpappel. Bei den Landwirten werden Bäume eher als Hindenis beim Einsatz der Landmaschinen empfunden und gelegentlich an- oder umgefahren.

Auf Privatgrundstücken herrscht der Bürger über Eichen, Linden und Koniferen wie weiland Ludwig XIV. über seine Untertanen – mit absolutistischer Macht, ohne von einer Baumschutzsatzung belästigt zu werden. Hiesige Grundstücksbesitzer haben den Anspruch, auf ihren Parzellen jede gesunde hundertjährige Eiche umlegen zu dürfen. Ob es die Sorge um die Lackschicht des Autos ist? Oder die Haftung, wenn der Postbote auf nassem Laub ausrutscht? Oder der Wunsch nach mehr Helligkeit in der Wohnstube? Der Eigentümer muss sich nicht rechtfertigen. „Der Staat bin ich“, sagte der Sonnenkönig.

Aber auch ich darf dieses Allmachtsgefühl auskosten, selbst wenn ich gar kein Anwesen mein eigen nenne. Ich muss mich nur zum Ortsbürgermeister wählen lassen und loslegen. Dann kann ich den Daumen senken, wenn es mir opportun erscheint, Wählerwünschen nach einem laubfreien Bürgersteig nachzukommen.

Ohne Baumschutzsatzung funktioniert das prächtig. Mit ihr wäre der Weg zum Kadi kurz. Baumfreunde fordern deshalb ein Ende dieser Selbstherrlichkeit, also eine Satzung.

Wir, die Menschheit von heute, wissen alles über Bäume und beherzigen nichts davon. Keinem deutschen Sekundarschüler bleiben Basisinformationen über die Bedeutung der Bäume vorenthalten. Das TV schiebt laufend neue tolle Infos nach.

Trotzdem ist dem Baumverächter kein Argument zu blöd. Auf die Bäume käme es wohl nicht an, musste ich mich einmal belehren lassen. In der Sahara wüchsen keine, und trotzdem lebten da Menschen, ohne nach Luft zu schnappen!

Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften über die Unentbehrlichkeit der Bäume als Klima-, Wasser- und Bodenschützer, als Biotop für unzählige krabbelnde, kletternde und fliegende Arten: all das liegt auf dem Tisch. Und wer den Strich drunter zieht, wird diesen Satz einfach nur logisch finden:

Bäume können ohne Menschen leben, aber umgekehrt geht´s nicht. Wenn wir nicht mit Captain Kirk nach einer Ersatzerde suchen wollen, dann müssen wir die Bäume auf dieser Erde erhalten – mit aller unserer Kraft.

Harald Rohr am Tag des Baumes, dem 25. April 2015